Die Sowjetunion in der Defensive
"Das Herz des Kampfgefährten und genialen Fortsetzers der Sache Lenins, des weisen Führers und Lehrers der Kommunistischen Partei und des Sowjetvolkes, Josef Wissarionowitsch Stalin, hat
aufgehört zu schlagen."1
Als am 6. März 1953 der Tod Stalins bekanntgegeben wurde, wusste niemand, was nach Stalin folgen würde. Der "Übermensch"2 hatte während vielen Jahren die Stellung eines Gottes eingenommen. Ein
Vierteljahrhundert hatte das russische Volk unter dem "alten Tyrannen"3 gelitten; Gewalt, Terror und Unterdrückung prägten seine Amtszeit. Wahrlich kein einfaches Erbe, das seine Nachfolger
anzutreten hatten.4
Entgegen den Befürchtungen des Westens, dass die internen Auseinandersetzungen um Stalins Erbe eine Unberechenbarkeit der Sowjetunion zur Folge hätten, übernahm Georgi M. Malenkow unangefochten
die Regierungsgeschäfte als Ministerpräsident und Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU).5 Ab 1955 gelang es jedoch Chruschtschow, sich langsam aber sicher in der
neuen, kollektiven sowjetischen Führung gegen Malenkow durchzusetzen.6
Im Gegensatz zu Stalin trat mit Nikita Chruschtschow ein Politiker an die Macht, der die Menschen respektierte und seine Kollegen um Rat fragte. Und so erstaunt es denn auch nicht, dass nach
Stalin eine Wende in der sowjetischen Aussenpolitik folgte, auch wenn sich diese bereits vor seinem Tod angekündigt hatte. Stalins Expansionspolitik hatte eine gefährliche Überdehnung des
sowjetischen Imperiums zur Folge.7
Unbestritten bleibt die Tatsache, dass die osteuropäischen Satellitenstaaten an der Westgrenze der Sowjetunion zur militärischen Sicherheit des Landes beitrugen. Dieser und weitere Vorteile
wurden aber mit Sicherheit von Verwaltungs- und Verteidigungskosten und Gefahren kompensiert. Moskau musste den gesamten Unterdrückungsapparat am Leben erhalten und "sah sich der ständigen Gefahr
von Aufständen der unterjochten Völker (so, wie 1953 in Ostdeutschland) gegenüber, die weitere Aufstände auslösen und so aus der Kontrolle geraten konnten."8 Hinzu kam die Gefahr eines
europäischen Krieges, der für Russland katastrophale Auswirkungen gehabt hätte. Um das Hinterland und die Versorgungslinien unter Kontrolle zu halten, waren in etwa gleich viele Truppen nötig wie
an der Front; zudem bestand die Gefahr eines Bürgerkrieges.9
Ab 1949 musste die Sowjetunion erste Niederlagen gegen die amerikanische Eindämmungspolitik einstecken und sah sich zunehmend von gegnerischen Militärallianzen umgeben. Die sich ankündigende
Wiederbewaffnung Deutschlands und dessen Integration in den Westblock beunruhigten Moskau nicht minder als die aus der Überdehnung des sowjetischen Einflussbereiches resultierenden Probleme in
den Satellitenstaaten. Die Sowjetunion antwortete auf diese prekäre Entwicklung mit dem "Tauwetter"10, der innenpolitischen Liberalisierung, und der nun unter Chruschtschow einsetzenden
Entspannungs- und Koexistenzpolitik, die noch aus der Zeit Stalins herrührte.
Den Höhepunkt dieser Phase der Entspannung bildete zweifelsohne die Genfer Konferenz von 1955. Voraussetzung für dieses erstmalige Zusammentreffen der Siegermächte seit Potsdam waren folgende
drei Bedingungen des Westens: Ein Waffenstillstand in Korea war erreicht worden, Österreich bekam die Unabhängigkeit zugestanden und die Sowjetunion lenkte zur Freigabe der restlichen 30'000
deutschen Kriegsgefangenen und Internierten ein.11
Während der Genfer Gipfelkonferenz vom 18. bis 23. Juli 1955 herrschte zwischen den Regierungschefs Eisenhower (USA), Faure (Frankreich), Eden (England), Bulganin (UdSSR) sowie dem sowjetischen
Parteichef Churschtschow eine freundlich anmutende Atmosphäre, welche in der Weltpresse als "Geist von Genf"12 betitelt wurde. Doch auch diese Tatsache konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass
bezüglich des Ost-West-Konfliktes keine Ergebnisse erzielt wurden und alle beteiligten Staaten an ihren Positionen festhielten.13
Da die Genfer Konferenz in der Deutschlandfrage keine Neuerungen hervorgebracht hatte, verkündete Chruschtschow bereits auf der Heimreise seine "Zwei-Staaten-Theorie"14. Damit setzte er jeglichen
Bestrebungen auf eine Wiedervereinigung ein plötzliches Ende. Von nun an wolle die Sowjetunion einer Wiedervereinigung nur noch unter Beibehaltung der "sozialistischen Errungenschaften"15 der DDR
zustimmen.
Für die weitere Entwicklung der DDR bedeutete diese Rede eine verstärkte wirtschaftliche und politische Integration in den Ostblock und eine Aufwertung zum selbständigen Staat verbunden mit der
Schaffung einer eigenen Armee sowie dem Beitritt zum Warschauer Pakt.
quelle: http://www.kssursee.ch/schuelerweb/kalter-krieg/kk/sowjetunion.htm